Fleischindustrie – Unwürdige Bedingungen für Tier und Mensch

Von Fabian Ritzel

Das Leben von Tieren ist in großen Betrieben der Fleischindustrie nicht viel wert. Doch lange stellte sich in der Öffentlichkeit niemand die Frage, wie es um die Menschen steht, die dort arbeiten. Dann kam die Corona-Pandemie. Mitten im Lockdown häuften sich die Masseninfektionen in den Großbetrieben der deutschen Fleischindustrie. Während des Lockdowns standen die Fleischbetriebe nicht still, der Betrieb lief weiter – die Hygienestandards wurden dabei oft nicht beachtet. In Rheda-Wiedenbrück in Nordrhein-Westfalen ist der Sitz des größten deutschen Fleischkonzerns Tönnies. Dort mussten im Juni 2020 alle 7.000 Beschäftigten in Quarantäne, über 1.5000 Mitarbeiter:innen wurden positiv getestet. In zahlreichen anderen Unternehmen war ähnliches zu beobachten.

Es lohnt sich auch, diese Phänomäne in einem größeren Kontext zu betrachten. EU-Regelungen spielen dabei eine große Rolle. Leben und arbeiten wo man will – diese großartigen Möglichkeit bietet uns die Europäische Union. Zu verdanken haben wir das der sogenannten Personenfreizügigkeit, die 2002 in Kraft trat. Sie umfasst insbesondere die Arbeitnehmer:innenfreizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit. Das bedeutet: Unionsbürger:innen dürfen sich frei in der EU bewegen, ohne Genehmigung in anderen Ländern leben und dort einer Beschäftigung nachgehen. Es gilt für sie das Arbeits- und Sozialrecht des Landes, in dem sie arbeiten. Eine Person aus Bulgarien muss also in Deutschland mindestens 12 € pro Stunde statt rund 2 € Mindestlohn im Heimatland erhalten.  Eine tolle Sache – doch es gibt es einen Haken!

Nicht nur die Arbeitnehmer:innen, sondern vor allem die Unternehmen profitieren von dieser Regelung. Besonders deutlich wird das in der Fleischindustrie.

Zwei Drittel der deutschen Schweinefleischproduktion entfallen auf nur fünf Unternehmen. Diese verfügen dementsprechend über viele Ressourcen, um im Ausland Strukturen zur Gewinnung neuer Arbeitskräfte aufzubauen. Ohne die besagten EU-Regelungen wäre das gar nicht denkbar. Kombiniert wurde diese Art der Rekrutierung lange Zeit mit einer Anstellung über Subunternehmen. Beschäftigte sind dann bei einem rechtlich selbstständigen Unternehmen angestellt, das mit dem Fleischkonzern lediglich einen Werkvertrag abschließt. So trägt das Subunternehmen die unmittelbare Verantwortung für die Arbeitsbedingungen, wenngleich die Arbeit in der Fabrik des Konzerns verrichtet wird. Laut der Initiative „Faire Mobilität“ des DGB waren 2020 über zwei Drittel der Beschäftigten der deutschen Fleischindustrie über Subunternehmen beschäftigt. Dabei handelt es sich meist um Beschäftigte aus Mittel- und Osteuropa.

Durch die Anstellung über Subunternehmen konnten sich die Fleischkonzerne in der Coronazeit oft darauf berufen, formal nicht zuständig zu sein. Neben unzureichendem Schutz auf der Arbeit erstreckten sich die schlechten Bedingungen oft auf die Wohnsituation. Laut eines Berichts aus NRW wurden bei Kontrollen 2020 zahlreiche Hygieneverstöße und Überbelegungen von Unterkünften festgestellt. In einigen Fällen lagen sogar gravierendere Verstöße wie Schimmelpilzbefall, Einsturzgefahr oder undichte Dächer vor.

Nach etlicher Kritik reagierte die Bundesregierung. Mit einem von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Gesetz wurde die Anstellung über Subunternehmen zum 1. Januar 2021 verboten. Auch Leiharbeit ist seit dem 1. April 2021 in der Branche größtenteils untersagt. Dieses Verbot ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Es soll zu einer Einhaltung der Arbeitsstandards beitragen und erleichtert es den Beschäftigten, sich in Gewerkschaften zu vereinen. Die Gewerkschaften bilden die Grundlage für Austausch innerhalb der Belegschaft und damit für einen Einsatz für bessere Arbeitsbedingungen.

Aber: Dabei bleiben Defizite. Kein Wunder: Das Geschäftsmodell der Fleischindustrie basiert erheblich auf Preisen, die den realen Wert der Lebensmittel nicht abbilden. Ohne die Prekarität der migrantischen Arbeiter:innen funktioniert es nicht.

Die Unternehmen setzen daher nach wie vor intensiv auf die Rekrutierung aus Osteuropa, etwa Bulgarien und Rumänien. Zugute kommt der Industrie dabei das starke Lohngefälle innerhalb der EU. Insbesondere solche Beschäftigte, die nur vorübergehend nach Deutschland kommen, messen deutschen Löhne daher möglicherweise eher an den Lebenserhaltungskosten im Herkunftsland. Die erhoffte finanzielle Befreiung tritt jedoch selten ein, die Arbeit in Deutschland eröffnet ihnen vor allem neue Wege in prekäre Verhältnisse. Es profitieren vor allem die großen Unternehmen und die westeuropäische Wirtschaft.

Der Fleischindustrie bieten sich trotz der gesetzlichen Verbesserungen Möglichkeiten, weiterzumachen wie bisher. Denn an der regelmäßigen Kopplung von Arbeitsplatz und Wohnung hat sich nichts verändert. Verliert ein:e Beschäftigte:r die Arbeitsstelle, so droht die Wohnungslosigkeit. Das fördert die Abhängigkeit vom Unternehmen. Auch Befristungen bleiben ein Druckmittel.

Als Antwort auf diese Probleme muss weiter mit aller Klarheit über die Missstände der Branche aufgeklärt werden. Es braucht weitere strukturelle Reformen und eine Stärkung der arbeitsrechtlichen Stellung der Beschäftigten.

Das betrifft die konsequente Einhaltung der Regelung ebenso wie weitere Schritte. So etwa die Entkopplung von Arbeitsplatz und Wohnung. Auch die EU-Personenfreizügigkeit ist in ihrer jetzigen Form kritikwürdig. Sie schafft die Möglichkeit zu ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen – die Fleischindustrie ist da nur ein Beispiel von vielen.

In Deutschland muss insbesondere auf die Stärkung der Gewerkschaften hingewirkt werden, sie sind für den Kampf für bessere Bedingungen unverzichtbar. Die bis 2020 branchenübliche Beschäftigung über Leiharbeit und Subunternehmen machte das bisher nahezu unmöglich.

Deutlich wird das auch bei einem Vergleich mit der Situation in Dänemark. Dort gibt es eine ähnlich stark ausgeprägte Fleischindustrie, jedoch mit wesentlich höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen. Wie eine wissenschaftliche Publikation der Sozialwissenschaftler:innen Ines Wagner und Bjarke Refslund von 2016 aufzeigt, lässt sich das im Fall der Fleischindustrie unter anderem auf eine wesentlich ausgeprägtere gewerkschaftliche Organisation zurückführen.

Streiks sind ein wirksames Mittel, mit dem Beschäftigte dem Unternehmen klarmachen, dass in Wahrheit ohne sie gar nichts geht. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Rahmenbedingungen derartige Streiks überhaupt ermöglichen und Arbeitnehmer:innen nicht um ihre Anstellung bangen müssen. Denn am Ende muss das Ziel lauten: würdige Arbeitsbedingungen für alle. Doch in einer solch grausamen Branche wie der Fleischindustrie sowie unter den aktuellen nationalen und europäischen arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen lässt sich das nur schwer erreichen. Denn das aktuelle System begünstigt eine Reproduzierung prekärer Arbeitsbedingungen.

Über den Autor:

Fabian studiert Jura in Freiburg. Er interessiert sich sehr für gesellschaftskritische und rechtspolitische Fragestellungen, liest viel und und genießt gerne die Natur im Schwarzwald. Wenn er Zeit hat, ist er immer gerne in Frankreich unterwegs.

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