Das tragische Schicksal der Senegalschützen: Eine obskure Geschichte zum Teilen

Von Amadou Coulibaly

Dies ist eine übersetzte Version.

Soldaten, die wegen ihrer Hautfarbe oder ihrer Forderung, mit der gleichen Würde wie ihre französischen Kameraden behandelt zu werden, hingerichtet wurden  – Das erzählen die Massaker an den Senegalschützen in Chasselay (1940) in Frankreich und in Thiaroye (1944) im Senegal. Einige Intellektuelle, Historiker*innen oder Künstler*innen haben sich dazu entschieden, diese sehr sensible Geschichte erneut zu betrachten und dabei die Verantwortlichkeiten zu verorten. So sollen Räume geschaffen werden, in denen diskutiert und ein gegenseitiges Verständnis für einen soliden sozialen Zusammenhalt geschaffen werden kann – ein Kommentar.

Senegalschützen (frz. Tirailleurs sénégalais): So nannte Louis Faidherbe, Generalgouverneur oder genauer gesagt, Kolonialverwalter von Französisch-Westafrika (AOF), das Militärkorps, das er in den französischen Kolonien in Afrika aufgestellt hatte. Dieses Regiment, eine bewaffnete Einheit, wurde 1857 mit dem Ziel gegründet, ein Militärkorps zu bilden, das nur aus Einheimischen bestand, aber von einem französischen Kommandanten geleitet wurde. Als Oberbegriff verdient der Ausdruck “Senegalschütze” eine Erklärung, um Verwirrungen zu beseitigen und von verkürzten Sichtweisen wegzukommen. Denn es ist bedauerlich zu sehen, wie sehr die Unkenntnis der Geschichte dieser Soldaten manche Politiker dazu verleitet, alles miteinander zu vermischen. 

Dies ist zum Beispiel dem Präsidenten der Republik Senegal passiert. Um auf die Kritik einiger Oppositioneller an der postkolonialen Beziehung (u.a. ging es um die Währungsfrage des CFA, die Bevorzugung französischer Unternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge im Senegal wie z.B. TOTAL …) zu reagieren, fiel Präsident Macky Sall nichts Besseres ein, als öffentlich von der Freundschaft zu sprechen, die Frankreich mit seiner ehemaligen Kolonie, dem Senegal, verbindet. Er ging sogar noch weiter und rechtfertigte diese “Freundschaft” mit folgender Aussage: “Die Franzosen sind unsere Freunde, weil unsere Tirailleurs (Schützen) im Gegensatz zu den anderen Afrikanern ein Recht auf Desserts hatten…”. Diese Aussage des senegalesischen Präsidenten – die im Jahr 2018 für Kontroversen gesorgt hatte – ist nicht nur beschämend und seines Status als Staatschef unwürdig, sondern lässt vor allem die Unkenntnis oder die Unklarheit erkennen, die den Begriff “Senegalschützen” umgibt.

Senegalschützen oder afrikanische Schützen?

Im Gegensatz zu dem, was der senegalesische Präsident sagt, handelt es sich bei den Senegalschützen nicht nur um Senegalesen. Der Begriff bezieht sich auf Tausende von Männern aus verschiedenen afrikanischen Ländern. Neben dem Senegal stammen sie aus Mali, der Elfenbeinküste, aus Burkina Faso, dem Togo, dem Benin, aus Gabun, Guinea und Mauretanien – alles Länder, die von Frankreich kolonisiert wurden. 

Wenn wir also immer noch einen kolonialistischen Ausdruck verwenden, der die Realität der Dinge nicht wiederspiegelt, ist das eine Anomalie, die korrigiert werden muss. Meiner Ansicht nach ist es notwendig, von dieser vereinfachenden Art, die aus der Kolonialzeit übernommenen Dinge weiterhin so zu benennen, abzurücken. Die Dekolonisierung des Begriffs Senegalschützen durch den Begriff Afrika-Schützen erscheint mir notwendig und viel zutreffender.

Diese Arbeit an der verwendeten Terminologie muss mit einer Frage nach den Mobilisierungsbedingungen dieser Männer einhergehen, die weit weg von ihrem Land in den Kampf gezogen sind. Einige Tirailleurs wurden zwangsrekrutiert, da ihnen die Entscheidungsfreiheit vorenthalten wurde. Sie wurden oft unter einschränkenden Bedingungen mobilisiert. Dies wird in dem Film “Combattants d’Outre-mer, la parole tiraillée” (dt. “Kämpfer aus Übersee: Das erschossene Wort”)  von Alexandre Bonche thematisiert, in dem Caporal chef Saloum Kanouté (Matrikelnummer 10707) und ein Soldat (der Matrikelnummer 27516), zwei  Senegalschützen aus Mali (Region Kayes), ebenfalls die Zwangsbedingungen bestätigen, unter denen sie für die Teilnahme am Krieg rekrutiert wurden. 

Laut einer Veröffentlichung der französischen Zeitung L’Obs vom 9. November 2018 waren es Hunderttausende Schützen, die im Ersten und Zweiten Weltkrieg kämpfen mussten. Dem Zeitungsartikel ist folgendes zu entnehmen: “Einen Monat nach der Kriegserklärung am 17. September 1914 begann die Kolonialarmee damit, Einheiten afrikanischer Bataillone ins Mutterland zu schicken. Während der gesamten Dauer des Ersten Weltkriegs kämpften etwa 200.000 Senegalschützen aus Französisch-Westafrika, der sogenannten AOF, unter der französischen Flagge.” Es geht ebenso hervor, dass 15 % von ihnen, d. h. 30.000 Soldaten, getötet wurden. Jahre später, am 1. April 1940, wurden nach offiziellen Angaben 179.000 Senegalschützen für den Zweiten Weltkrieg mobilisiert, von denen 40.000 an den Kämpfen in Frankreich beteiligt waren. “Fast 17.000 Soldaten werden im Laufe dieses Jahres im Kampf getötet, vermisst oder verwundet”, heißt es in dem Zeitungsartikel. 

Unter den Soldaten, die während und nach dem Krieg getötet wurden, gab es einige, die ihr Leben unter oftmals schrecklichen und unmenschlichen Bedingungen verloren. Dies lehren uns die Massaker von Chasselay im Juni 1940 und später das Massaker von Thiaroye im Dezember 1944.

Das Massaker des 25. Regiments der Senegalschützen in Chasselay

Es war der 19. Juni 1940, als die deutsche Armee des Dritten Reichs in die Region Lyon einmarschierte. Einen Tag später, am 20. Juni 1940, wurden die Senegalschützen nach langem Widerstand schließlich von der deutschen Armee gefangen genommen. Noch am selben Tag wurden mehr als dreißig afrikanische Schützen, die in der französischen Armee kämpften, auf grausame Weise hingerichtet. Dieses Massaker bleibt eines der tragischsten Ereignisse in der Geschichte der Stadt Chasselay in der Nähe von Lyon. Lange Zeit war diese Episode unter Expert*innen unbekannt, doch dank der Arbeit des französischen Historikers Julien Fargettas wurde sie vor kurzem näher beleuchtet. Julien Fargettas arbeitete dafür mit dem Privatsammler Baptiste Garin zusammen, der das Fotoalbum eines der deutschen Soldaten besitzt, die bei diesem verhängnisvollen Ereignis anwesend waren, und enthüllt in seinem neuesten Werk “Juin 1940. Combats et massacres en Lyonnais” (Juni 1940. Kämpfe und Massaker auf Lyonäsisch) die schrecklichen Bedingungen dieses Massakers. Julien Fargettas geht auf einige Szenen dieses tragischen Tages ein und berichtet in seinem Buch von folgenden Szenen: “Im Kloster weigert sich ein verwundeter Schütze, sich zu ergeben. Schließlich wird er gefangen genommen, in den Hof geschleppt und mit Bajonetten getötet. In der Nähe der Kapelle Saint-Joseph liegen zwei Verwundete am Boden. Der französische Soldat wird beiseite geschoben, während sein afrikanischer Kamerade ebenfalls erfmordet wird […] 1942 wird auf dem Gelände des Klosters ein Massengrab mit den Leichen von sechs Schützen geöffnet, um die Überreste zu bergen.”

In dem bereits genannten Artikel im L’Obs aus dem Jahr 2018 wird eine höhere Zahl an Opfern aus dem Massaker festgestellt: An zwei Tagen sollen in der Region von Lyon fast 200 Gefangene des 25. Regiments von der Wehrmacht erschossen worden sein – weil sie aus Subsahara-Afrika stammten. So zeigen uns die Umstände des Massakers ein anderes Gesicht der Schmach des Krieges. Die Senegalschützen, die zusammen mit ihren Kriegskameraden, den französischen Soldaten, gefangen genommen wurden, wurden ausgewählt und isoliert, bevor sie massakriert wurden. Dies beweisen mehrere Bilder von Baptiste Garin.

Der Tata sénégalais (Massengrab) in Chasselay, in dem die Leichen von 188 Tirailleurs sénégalais zusammengetragen wurden, erinnert an dieses schreckliche Massaker, das man nicht anders als rassistisch bezeichnen kann. Darüber hinaus sagt die Entscheidung, die französischen Soldaten am Leben zu lassen und die Schwarzen Soldaten zu massakrieren, genug über den Charakter dieses Massakers aus. Wie der französisch-senegalesische Schriftsteller David Diop in seinem Buch “Frère d’âme” (Seelenbruder) schreibt, wurde die Anwesenheit Schwarzer Soldaten in den Reihen der Armee von der deutschen Armee als eine Infektion Europas durch “Barbaren” angesehen. Die Senegalschützen wurden in Chasselay massakriert, weil sie schwarze Soldaten waren, die es wagten, gegen die Armee des Dritten Reichs zu kämpfen, und waren auch Gegenstand tragischer Repressionen seitens ihrer französischen Kameraden.

ONAC: Die Gedenksäulen nach dem Massaker an den Senegalschützen

Das Massaker von Thiaroye durch die französische Armee

Zu den 47.000 Soldaten, die während des Ersten und Zweiten Weltkriegs auf den Schlachtfeldern fielen, müssen auch diejenigen hinzugezählt werden, die auch nach dem Krieg massakriert wurden. Nach vier Jahren Krieg an verschiedenen Fronten auf europäischem Boden wurden die Senegalschützen im Jahr 1944 von der französischen Armee nach Senegal zurückgebracht – mit dem Versprechen, ihnen ihre Entschädigung auszuzahlen. Dieses Versprechen wurde von der französischen Verwaltung leider nie eingehalten, da sie sich im selben Moment in einen Henker ihrer ehemaligen Kriegskameraden verwandelte: Als die Senegalschützen ihr Recht einforderten, wie man es ihnen bei ihrer Rekrutierung versprochen hatte, wurden sie am Morgen des 1. Dezember 1944 auf Befehl des Generalkommandanten Dagnan von der französischen Armee angegriffen.

Ebenfalls ein ungerechtes und schreckliches Massaker – das später übrigens von der französischen Armee geleugnet wurde, als von einer Rebellion der Tirailleurs die Rede war. Es war sehr früh am Morgen, gegen 5:30 Uhr, als die Männer des Kommandanten Dagnan das Feuer auf die Senegalschützen eröffneten. In einem ersten Bericht über dieses schändliche Massaker bilanzierte Kommandant Dagnan 30 Tote, die in einem Massengrab im Lager Thiaroye beigesetzt wurden. In einer Rede im Jahr 2014 gestand François Hollande, der damalige französische Präsident, 70 Opfer. Dieses 70-jährige Schweigen der französischen Behörden über die genaue Zahl dieses kolonialen Massakers lehrt uns genug über die Tatsache, dass die Kolonialisierung nie ein philanthropisches Unternehmen war – wie der Martinikaner Aimé Césaire in seinem 1950, also sechs Jahre nach dem Massaker, erschienenen “Discours sur le colonialisme” (Rede über den Kolonialismus) betonte. 

Andererseits gehen manche von Hunderten von Opfern aus. Auch wenn es nicht einfach ist, eine genaue Zahl der in Thiaroye massakrierten Menschen anzugeben, steht eines fest: Dieses Massaker in Subsahara-Afrika ist eines der markantesten französischen Kolonialverbrechen des zwanzigsten Jahrhunderts.

Flickr: Ein Wandgemälde in Dakar, das das Massaker von Thiaroye darstellt

Die Erinnerung an diese tragische Geschichte, so sensibel sie auch ist, darf nicht denjenigen dienen, die täglich versuchen, die Menschheit zu spalten und die einen von den anderen auszugrenzen. Die Geschichte dieser Söhne Afrikas, die gekommen waren, um Frankreich vor dem Wahnsinn des Hitler-Regimes zu verteidigen, muss im Kopf aller sein und dafür in die Schulprogramme der betroffenen Länder aufgenommen werden. Die Erinnerung an das, was geschehen ist, sollte nämlich dazu dienen, uns unserer Gemeinsamkeiten bewusst zu werden. Die Veröffentlichung des Films “Tirailleurs” mit Omar Sy im Januar 2023 ist ein Beispiel, dem gefolgt werden sollte. In einem Interview über den Film fasst der französische Schauspieler den symbolischen Wert der Erzählung der Geschichte der afrikanischen Tirailleurs zusammen, die für Frankreich und für die Verteidigung von Freiheit und Menschenwürde gestorben sind. Er betont in diesem Zusammenhang, dass “wir nicht die gleiche Erinnerung haben, aber wir haben die gleiche Geschichte”. Die Bekämpfung von Rassismus und jeglicher Form von Diskriminierung muss daher notwendigerweise über die Anerkennung einer Vielzahl an Erinnerungen erfolgen.

Über den Autor:
Amadou Coulibaly

Amadou hat einen Master-Abschluss in CLE (Cultures littéraires européennes) und bereitet sich derzeit auf einen berufsbezogenen Master-Abschluss mit der Option Information und Kommunikation im Bereich Digitale Publikation vor. Er ist der Enkel eines ehemaligen senegalesischen Schützen und interessiert sich sehr für die französische Kolonialgeschichte in Afrika und ihre Auswirkungen auf die Entwicklung der jeweiligen Gesellschaften. Die Teilnahme an diesem Projekt ist für ihn ein Privileg.

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