Meine Stimme gegen Rassismus und Vorurteile

Konfrontiert mit der Realität ihrer Gesellschaft und der Mentalität ihres Landes, hat Myriam Mili gemerkt, dass die Welt, die sie umgibt, nicht so rosarot ist, wie sie es sich viele Jahre lang vorgestellt hat…

Es gibt eine Sache, die ich immer gehasst habe, und das seit meiner Kindheit – Ungerechtigkeit. Ich habe sehr schnell verstanden, dass es eine Form von Ungerechtigkeit gibt, mit der ich konfrontiert werden könnte – Rassismus. Das ist der Grund, warum ich als ein Kind von Eingewanderten – einer Mama mit algerischen Wurzeln und eines Papas, der in Tunis geboren ist – immer alles gemacht habe, um keinen Rassismus in meinem Alltag erleiden zu müssen. Und ob ihr es glaubt oder nicht: Rassismus gehört immer noch zum Alltag eines jungen Mädchens wie mir.

Der Rassismus und ich

Heute werde ich euch erzählen, wie der Rassismus mich zu der Person gemacht hat, die ich heute bin. Mit meinen 21, blad 22 Jahren bin ich die älteste Tochter einer Familie mit vier Kindern. Ich bin Französin, aber auch Tunesierin durch meinen Papa und Algerierin durch meine Mama – und durch meine Religion bin ich auch Muslimin.

Meine Kindheit

Ich würde nicht sagen, dass ich eine unglückliche Kindheit hatte – im Gegenteil. Meine Eltern haben uns – meinem Bruder, meinen Schwestern und mir – immer ermöglicht, uns zu entfalten. Wir waren wie alle anderen. Meine Eltern wollten immer unser Bestes. Das ist der Grund dafür, dass sie sich entschlossen haben, mich auf eine katholische Privatschule zu schicken. Sie wollten uns vor Vorurteilen und Bewertungen schützen und uns ermöglichen andere Kulturen und Religionen kennenzulernen. Ich würde meine Eltern grundsätzlich als sehr weltoffen beschreiben. Zu Hause haben wir einen Koran, eine Bibel und eine Torah.

Meine glücklichen Schuljahre

Indem sie uns an einer Schule anmeldeten, die weitgehnd frei von Vorurteilenwar, die die Konfession und die Herkunft betreffen, schufen uns unsere Eltern eine Art schützende “Immunität”. Ich habe dort tolle und sehr weltoffene Menschen kennengelernt und ich kann mich nicht wirklich daran erinnern, auf diesem Gymnasium jemals irgendeine Form der Diskriminierung erfahren zu haben. Ich war eine sehr fleißige Schülerin und ich lernte regelmäßig, um ein einwandfreies Zeugnis zu bekommen, was mir den Weg zu meinem Wunschstudium ebnen sollte. Und so war es dann auch: Ich konnte meinen favorisierten Studiengang an der Uni meiner Wahl beginnen. Das war aber auch der Moment, als die Dinge begannen, einen anderen Lauf zu nehmen.

Die glücklichen Jahre: Meine Schwester und ich (links)

Die Realität

Während meines zweiten Jahres an der Uni hatte uns ein Dozent die Aufgabe gegeben, Vorträge zu aktuellen Themen vorzubereiten, die uns am Herzen lagen.  Eine meiner Kommilitonin  entschied sich über das Thema „Islam in Frankreich“ zu sprechen. In ihrem Vortrag erläuterte sie, warum Musliminnen und Muslime nicht nach Frankreich gehörten. „Hier ist nicht ihre Heimat“ erklärte sie, und fügte hinzu, dass sie sich hier in ihrem Alltag nicht sicher fühlte, dass Frankreich ein weltliches Land sei und dass der Islam nicht nach Frankreich gehöre. Schließlich fügte sie hinzu, dass sie während einer Reise in ein nordafrikanisches Land, von Muslim*innen angestarrt worden war, da sie ein Kreuz um den Hals getragen hatte.

Frankreich – nicht mein Land?

Da ich sonst nur von weltoffenen Menschen umgeben war und ich ihre Aussagen alles andere als angemessen empfand, erlaubte ich mir am Ende des Vortrags das Wort zu ergreifen und zu intervenieren. Aber ich war die einzige, die dachte, dass ihre Bemerkungen problematisch waren. An diesem Tag habe ich verstanden, dass ich nicht wie all die anderen war.  Für meine Kommilitoninnen schien es völlig vertretbar zu sein, zu  sagen, dass Muslim*innen nichts in Frankreich verloren hätten und, dass “ihr” Land nicht sicher sei. Ihrer Meinung nach ist dieses Land also nicht  auch meines?  Und auch nicht das Land meiner Eltern, die 35 Stunden pro Woche arbeiten, um für unseren Unterhalt aufzukommen? Ist es nicht das Land meiner Schwestern und meines Bruders? Nicht das meiner Tanten? Sind die Muslim*innen also kein Teil dieses Landes?

Mein Erwachen

Zutiefst verletzt von den Bemerkungen meiner Kommilitonin, hielt ich es für besser, darauf zu verzichten eine Debatte fortzuführen, in der ich offensichtleich kein Recht  dazu hatte, mich zu äußern. Als ich nach Hause kam, erzählte ich meinen Eltern, was passiert war. Sie versuchten mir daraufhin zu erklären, dass es sicherlich nicht das letzte Mal gewesen sei, dass ich mit dieser Art von Bermkungen konfrontiert gewesen sei und, dass man sich damit abfinden müsse, solche Äußerungen hinzunehmen. Ich war nicht die Einzige, der es so ginge. Bis zu diesem Augenblick hatte ich die Welt nur niemals so sehen wollen, wie sie wirklich ist. In meiner naiven Unschlud habe ich stes an das Gute im Menschen glauben wollen – aber das war jetzt vorbei.   
Debatten und Ideenaustausche machen eine Demokratie aus. Ich bin eine Verfechterin der Meinungsfreiheit, aber ich denke, dass es Grenzen gibt, die nicht überschritten werden sollten. Außerdem müssen wir lernen, die anderen zu respektieren, denn Worte können oft sehr verletzend sein. An diesem Tag wurde mir schmerzlich bewusst, dass meine Herkunft und vor allem meine Religionszugehörigkeit als störend empfunden wurden.

Ich bin wie „sie“

So schnell ist die Geschichte aber noch nicht zu Ende. Meine Kommilitonin  verstand, dass sie mich verletzt hatte und schrieb mir eine Nachricht, um sich zu entschuldigen. Ich freute mich sehr darüber, bis ich zu dem Absatz kam, in dem stand: „Du bist auf jeden Fall nicht wie sie“. Schrieb sie das etwa, weil ich kein Kopftuch trage? Meine Tante trägt Kopftuch, mein Papa spricht genauso gut Arabisch wie Französisch, mein Onkel hat einen kleinen Akzent, wenn er Französisch spricht, mein Großvater hat einen langen Bart – und auch wenn ich keine dieser Eigenschaften habe, fühle ich mich nicht anders als sie. Ich war und ich bin Muslima, Punkt. Ich werde nie wieder schweigen, wenn ich noch einmal mit einer solchen Situation konfrontiert werde. Ich werde die Menschen aufklären, die denken, dass einige Personen weniger Wert sind als andere.

Das Kopftuch in Frankreich

Als Teil der Recherche für diesen Bericht, habe auch meine 17-jährige Cousine kontaktiert, die aus freien Stücken ein Kopftuch trägt. Als uich ihr von meinem Erlebnis an der Uni erzählte, sagte sie mir, dass diese Erfahrung nicht zu vergleichen sei mit den Bemerkungen und Blicken, die sie und ihre Mutter, die ebenfalls Kopftuch trägt, im Alltag ständig ausgesetzt seien. Besonders die Blicke seien zermürbend, erklärt sie mir, und umso schlimmer, je jünger man sei. Außerdem erzählt sie mir, dass sie auch schon einmal angehalten wurde sich zu rechtfertigen, warum sie ihre Haare verstecke.

Unterschiede sind unser Kapital Es fällt mir immer noch schwer zu glauben, ein Mädchen verurteilen zu können, das seine eigene Entscheidung getroffen hat. Das Tragen eines Kopftuches kann eine religiöse Zugehörigkeit ausdrücken, aber es kann auch als irgendein modisches Accessoire verstanden werden. Ich wünsche mir, dass kulturelle Unterschied in unserer Gesellschaft irgendwann mehr gewürdigt werden und nicht mehr nur Unverständnis und Streitkultur hervorbringen. Ich werde meinen Eltern nie genug danken können für die Bildung, die sie mir ermöglicht und für die Ratschläge, die sie mir mit auf den Weg gegeben haben. Wenn ich es heute schaffe, mir rassistische Bemerkungen und Situationen nicht mehr so zu Herzen zu nehmen, dann nur dank  meiner bisherigen Lebenserfahrungen und der Lehren, die ich darauß gezogen habe. Vielleicht wird sich das Denken unserer Gesellschaft eines Tages ändern, sodass wir  das Andere und die Unterschiede zwischen uns endlich wertschätzen können.


Über die Autorin:
Myriam Milli

… ist 21 Jahre alt, nach dem Abitur absolvierte sie ein zweijähirges DUT an der Universität Colmar. Während ihres Bachelors verschlug es sie auch an die Jade Hochschule in Niedersachsen in Deutschland. Derzeit ist sie als Au-pair in London, um ihr Englisch zu verbessern. Sie weltoffen, liebt es zu reisen, andere Kulturen zu entdecken und neue  Sprachen zu lernen.

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