Schwarze Haut, weiße Markierungen

Dieser Text soll weder politisch noch moralisch sein. Die Redakteurin Marie-Ange hat versucht, ihr Verhältnis zum Rassismus als schwarze Französin ehrlich und kurz zu schildern.

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Es ist schwierig eine Situation zu beschreiben, in der man mit Rassismus konfrontiert wird. Als ich jünger war, wusste ich, dass ich anders war. Als ein Opfer habe ich mich aber nie betrachtet.
Ich kann von keinen traumatischen Episoden aufgrund meiner Hautfarbe erzählen, dennoch von einer Reihe von Dingen, die mich daran erinnern, dass ich nicht weiß bin.

Meine Kindheit auf dem Land

Als Kind lebte ich vier Jahre lang in Bouglainval, einem kleinen Dorf in der Region Eure-et-Loir in Frankreich, das weniger als 1.000 Einwohner zählte. An meiner Schule waren mein Bruder und ich die einzigen schwarzen Kinder. Die Eltern und Lehrer*innen bemerkten den Unterschied, aber wir und unsere anderen Schulkamerad*innen waren uns dessen nicht bewusst. Die anderen Kinder und ich haben nichts davon verstanden, außer, dass ich eben schwarz war und sie nicht. Man nannte uns dunkle, die anderen weiße Schokolade.

Wir waren sensibel für  jede Situation, die uns zu „schwarz“ aussehen lassen würde, weil uns klar war,  dass wir dann anders gesehen werden würden:  Wenn unsere Mutter ein traditionelles afrikanisches Gewand trug, das Boubou genannt wird, oder wenn sie mir Zöpfe flocht, die wegen meiner Haarstruktur nicht hielten, oder wenn sie am Telefon sprach. Ich konnte nichts machen, wir waren, wer wir waren. Ich hasste einfach das Gefühl, anders zu sein. Meine Erziehung war es ebenfalls. Meine Mutter war sehr streng und hatte wenig Geduld. Hätte ich die Sprache und das Verhalten der anderen Kinder übernommen – ich hätte es um einiges schwerer gehabt.

Meine Ankunft in der Region Paris

Alles schien sich zu ändern, als wir in den Großraum Paris umgezogen sind. Dort habe ich die Vielfalt, den Schleier als Kopfbedeckung, die Vororte, das Château Rouge, arabische Ausdrücke wie „Wesh“ und die Frage: „Woher kommst du?“ kennengelernt.

Das berühmte „Woher kommst du?“. Auf diese Frage habe ich nie „Longjumeau“, die Stadt in der ich geboren wurde, oder „Bouglainval“ geantwortet. Das liegt daran, dass ich viel umgezogen bin und deshalb kaum Erinnerungen an Longjumeau habe. Ich dachte auch, dass es aufgrund meiner schwarzen Hautfarbe offensichtlich sei, dass ich nur von anderswo herkommen kann. Natürlich sehe ich das heute anders.

Es ist verlockend, auf die Frage „Woher kommst du?“ „aus der Vagina meiner Mutter“ zu antworten. Damit ist die Diskussion beendet. Selbst in meinem Freundeskreis wird zwischen Schwarzen von den Antillen und Schwarzafrikaner*innen unterschieden. Auch heute noch besteht die Überzeugung. dass Schwarze aus der Karibik weniger “schwarz” sind als Afrikaner*innen. Ich habe mich daran gewöhnt, dass meine Freund*innen und ich uns wegen meiner beninischen und ihrer karibischen Wurzeln gegenseitig aufziehen. Manchmal ist es aber auch so, als ob sie mich daran erinnern wollten, dass ich anders bin als sie.

Manchmal zu schwarz, manchmal nicht schwarz genug

Außerdem bekomme ich  regelmäßig Bemerkungen zu hören, die meine Haare und meine Haarverlängerungen, die Größe meiner Nase, die Art wie ich spreche, (obwohl ich sicher bin, keinen Akzent zu haben), meine Hautfarbe, die mal zu schwarz und mal nicht schwarz genug ist,  meinen Vornamen und meine beninischen und guadeloupeanischen Wurzeln kommentieren. Man nannte mich „Fatoumata“, ohne mich überhaupt zu kennen und sogar das „Mädchen mit den falschen Haaren“, an denen oft gezogen wurde, um zu sehen, ob es mir weh tut.

Meine Zeit im Gymnasium und heute

Ich weiß nicht, ob man von Rassismus sprechen kann, denn ich halte keinen meiner ehemaligen Klassenkamerad*innen für fremdenfeindlich – genausowenig, wie sie sich selbst. Es waren eher subtile Provokationen. Weder ich noch die anderen hielten es für nötig, das als eine Form des Rassimus zu bezeichnen. Es war unser Alltag. Ich habe noch nie über diese Dinge gesprochen, aus Angst, als Opfer bezeichnet zu werden. Man musste sich verteidigen oder darüber lachen, bloß weinen durfte man nie.  Dabei gab es so viele von uns, die anders waren.

Auf der Suche nach mir selbst

Auf dem Gymnasium haben sich die Dinge geändert. Man konnte sich behaupten, man wurde diplomatischer. Die Tatsache, dass ich eine Frau bin, spielt dabei auch eine Rolle. Nicht-weiße Männer erleben Rassismus nicht auf die gleiche Weise wie nicht-weiße Frauen. Wir sind mehr als nur eine Hautfarbe. Unser Verhalten, unsere Kleidung, unser Akzent, unsere Handicaps, unsere sexuelle Orientierung unterscheiden uns von anderen – unabhängig davon, ob wir der gleichen Community angehören oder nicht. Mein Bruder wurde oft von Polizeibeamt*innen ohne sichtlichen Grund kontrolliert. Ich dagegen wurde nie angehalten. Dafür habe ich sexuelle Übergriffe erlebt und schlimmste „Komplimente“ von schwarzen und nicht-schwarzen Männern über „schwarze“ Frauen zu hören bekommen.

Mein Weg zur Akzeptanz

Letztendlich, ist man als schwarzes Mädchen, das in Frankreich aufwächst, dem unvermeidlichen Vergleich mit dem festgefahrenen Schönheitsmodell des Westens ausgesetzt: der dünnen, weißen, jungen Frau. Wir werden als ihr Gegenteil beschrieben und wahrgenommen: runder, lauter, vulgärer und mit gröberen Gesichtszügen. Natürlich sind alle Frauen mit diesem „Schönheitswettbewerb“ konfrontiert.  Wir werden permanent verglichen. Es ist eine Form der ständigen Unterdrückung, die im kollektiven Unterbewusstsein vieler Menschen verwurzelt ist. In den letzten Jahren gab es einen Trend zu mehr Selbstliebe und -akzeptanz. Nur für die schwarze Frau, ist meiner Meinug nach, noch ein weitaus längerer Weg zu gehen.

Auch ich hatte eine ganze Reihe von Vorurteilen in meinem Kopf, die ich dekonstruieren musste, wenn auch nur zu meinem eigenen Besten. In Anlehnung an Frantz Fanons Peau noire, masque blanc, 1952 (Schwarze Haut, weiße Maske), das sich u. a. mit dem Unterschied zwischen schwarzen Personen geboren in Westindien, in Afrika und im französischen Mutterland, beschäftigt. Ich bin schwarz, aber ich habe „weiße Markierungen“, die (in den Augen einiger) meine Art zu sprechen, mein Kleidungsstil, meine Interessen usw. sind.

Hier sind zwei Links zu einem Video und einem Artikel, um mehr darüber zu erfahren:

https://thepioneeronline.com/39346/artsentertainment/how-the-awkward-black-girl-changed-how-we-see-black-women-on-screen/

*Artikelbild: Marie-Ange


Über die Autorin:
Marie-Ange

Marie-Ange ist eine 20-jährige Kunststudentin und Freundin der Wörter und der Stille. Mit einem ruhigen Temperament ist ihre Moral fast immer auf dem Nullpunkt. Man kann ihr aber ein Lächeln entlocken, wenn man ihr ein Haribo-Tütchen anbietet.

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