Von Malin Tayert
Rassismus in der Polizei ist ein weit verbreitetes Problem. Aber wie kommt es eigentlich dazu? Und was wird dagegen getan? Ein ehemaliger Polizist gibt Einblicke in seinen früheren Alltag.
„Das ist mein Land und du bist hier Gast“, brüllt ein Polizist einer Frau entgegen, während sein Kollege ihren Mann gewaltsam auf den Boden drückt. Heimlich mitgefilmt, tauchte dieses Video Mitte September in den Sozialen Medien auf. Darauf zu sehen, sind zwei Berliner Polizisten, die einen Mann mit Migrationshintergrund in seiner Wohnung wegen Schwarzfahrens verhaften. Vor den Augen seiner Kinder werden die Polizisten ausfällig und äußern sich vermehrt rassistisch und diskriminierend gegenüber der Familie. Solche Szenen, in denen rassistische Bemerkungen und Hassreden gegenüber Menschen anderer Herkunft oder Hautfarbe fallen, werden immer häufiger mit der deutschen Polizei in Verbindung gebracht.
Einige Polizist*innen sprechen sich dagegen öffentlich aus. So auch der ehemalige Polizist Sebastian Friedrich, der im Sommer 2022 in einem ntv-Interview berichtet, dass rassistische Äußerungen der Kollegen zur Tagesordnung gehören würden. Konsequenzen soll ein solches Verhalten selten gehabt haben. Der Berliner Beamte aus dem erwähnten Video soll laut eines taz-Berichtes von der Polizeiführung in den Innendienst versetzt worden sein. Ermittlungen laufen noch gegen beide Seiten. Obwohl solche Fälle von offensichtlichem Rassismus immer mehr in den Vordergrund der Öffentlichkeit gerückt werden, ist wenig Veränderung spürbar.
Im Interview mit der ARD 2020, sagt der ehemalige Innenminister Horst Seehofer, dass die deutsche Polizei „kein strukturelles Problem“ habe. Damit meint er strukturellen Rassismus, welcher der Polizei immer wieder vorgeworfen wird. Tatsächlich definiert die Antidiskriminierungsstelle des Bundes „Strukturellen Rassismus“ als Rassismus, der sich nicht auf einzelne Institutionen, wie die Polizei, zurückführen lässt. Der zutreffendere Begriff wäre laut Bundesbehörde daher „Institutioneller Rassismus“, welcher sich auf die „Formen der Diskriminierung, Ausgrenzung oder Abwertung, die von den Institutionen einer Gesellschaft […], ausgehen“ beschränkt. Hierbei wird hervorgehoben, dass der Ausgangspunkt nicht die Vorurteile oder abwertenden Einstellungen eines Individuums, sondern vielmehr „die Auslegung [und] die Anwendung von Regeln, Vorschriften, Normen, Routinen“ einer Institution seien. Viel interessanter noch als die Frage nach der Definition, sind die Ursprünge der Rassismus-Thematik in der Polizei.
Ein ehemaliger Polizist aus dem Polizeipräsidium Freiburg, der hier aus Datenschutzgründen Ben genannt wird, berichtet über seine Ausbildung im Gehobenen Dienst. Er sagt, dass aufgrund einer Einstellungsoffensive fast jeder bei der Polizei genommen wird. Dies kann auch durchaus positive Folgen haben. Seine Ausbildungsklasse war zum Beispiel zu seinem Erstaunen besonders divers: „Ca. 30 bis 40 % hatten einen Migrationshintergrund“. Negativ sieht Ben allerdings, dass die Qualität der Bewerber*innen dadurch teilweise extrem eingebrochen sei. „Ich habe das Gefühl, dass demokratische Grundwerte nicht unbedingt bei allen vorhanden waren. Auch wenn das nur ein kleiner Teil gewesen ist, hat es mich gewundert, dass die es überhaupt zur Polizei geschafft haben.“ Eine Kriminalkommissarin vom BKA Berlin, welche in diesem Zusammenhang ebenfalls anonym bleiben möchte, entgegnet im Interview, dass sich beim Bundeskriminalamt im Rahmen des Einstellungsverfahrens ein ganzer Bereich nur um Grundwerte und moralische Einstellungen drehe. Dies hätte man aber erst vor etwa zwei Jahren eingeführt. Sie meint: „Am Ende ist das natürlich immer nur ein Grundeindruck, aber wenn eine Person total rechtsextrem unterwegs ist, hoffe ich natürlich, dass man das auch im Auswahlverfahren merkt.“ Ob es Unterschiede im Einstellungsverfahren für das Bachelor-Studium zum gehobenen Dienst und in der Ausbildung zum mittleren Polizeivollzugsdienst gibt, ist nicht ganz eindeutig. Die Hochschule für Polizei in Baden-Württemberg erklärt, dass Inhalte zu Eignungstests aus Gleichbehandlungsgründen aller Teilnehmenden von ihnen nicht veröffentlicht werden.
In einer 2020 erschienenen WDR-Dokumentation „Polizeigewalt und Rassismus – Wer kontrolliert die Polizei?“ von Christina Zühlke und Jan Keuchel, sagt der Polizeiforscher Kai Seidensticker, dass Vorurteile auch durch die Polizeiarbeit selbst entstehen können. „Die Polizeiarbeit findet in der Regel in sozial schwächeren Milieus statt.“ Polizeibeamt*innen, die lange in diesen Bereichen arbeiten, würden oftmals in ein sehr starkes Schwarz-Weiß-Denken übergehen. Ex-Polizist Ben erzählt, dass auch er gemerkt hat, wie sich während seines einjährigen Praktikums seine eigene Einstellung geändert hat. „Du kommst als junger Mensch da rein, hast zu 90 % mit Leuten mit Migrationshintergrund im Streifendienst zu tun. Du wirst bespuckt, getreten und deine weiblichen Kollegen werden nicht beachtet, weil sie Frauen sind. Diese ganzen Erfahrungen sind halt einfach nicht mit deutschen Staatsbürgern entstanden.“ Rechtfertigen kann das menschenfeindliche Aussagen jedoch nicht. Laut der BKA-Kriminalkommissarin wird in der Polizei eine Zero-Toleranz-Linie gefahren und diese auch stringent durchgesetzt. „Personen, die noch in der Ausbildung sind und sich rechtsextrem verhalten, werden konsequent gekündigt.“
Auch Ben sieht das heutzutage laut eigenen Worten „in einem ganz anderen Licht“. Seiner Meinung nach liegt der Fehler vor allem bei den Vorgesetzten, weil diese nicht konsequent durchgegriffen hätten. „Wenn jemand sich in gewissen Bereichen mal in der Wortwahl vergreift, erwarte ich von meinem Vorgesetzten, dass er einschreitet und solche Aussagen nicht noch bekräftigt und dadurch Stereotypen weiter geformt werden.“ Er betont, dass die Führungskräfte dahingehend besser geschult werden sollten, so dass wirklich eine Zero-Toleranz herrscht. “Damit wären diese 20 % mundtot und solche Ansichten könnten sich gar nicht erst weitertragen.“ Kritisch sieht er auch, dass es quasi keine unabhängige Beschwerdestelle innerhalb der Polizei gibt. Es gäbe zwar einen Psychosozialen Dienst, an den man sich mit eigenen Krisen und Anliegen wenden könne, aber dieser wäre oftmals von internen Mitarbeitern besetzt. „Das Ding ist, dass die Polizei wie eine kleine Familie ist. Wenn ich weiß, dass beispielsweise Susanne Leiterin vom Psychosozialen Dienst ist und ich mich dahin melde, dann muss ich darauf vertrauen, dass da nichts durchsickert. Da aber Susanne mit Max, Paul und Hans damals vor 20 Jahren ihre Ausbildung gemacht hat, kannst du dir nie sicher sein, ob da nicht vielleicht doch mal geplaudert wird.“
Ein Kollege, der andere Kollegen bei den internen Beratungsstellen meldet, weil sich diese zum Beispiel rassistisch geäußert haben, wird oftmals als „Nestbeschmutzer“ bezeichnet. Als „Nestbeschmutzer“ müsse man, laut Ben, immer befürchten, dass eine interne Meldung inoffiziell mit dem Ende der eigenen Karriere verbunden ist. Er erklärt: „Egal ob deine Meldung rechtmäßig war oder nicht, viele haben danach Angst mit dir zusammenzuarbeiten, weil sie nicht sicher sein können, ob du sie bei einem kleinen Fehler nicht auch gleich meldest.“ Laut der Kriminalkommissarin sei es völlig normal, dass solche Meldungen nicht anonym bleiben könnten. „Ein Beschuldigter oder derjenige, gegen den das interne Verfahren geführt wird, hat ja immer das Recht auf Akteneinsicht über seinen Anwalt.“ Sie fände es schwierig, eine eigene Einheit zu haben, die sich nur darum kümmert, dass solche Meldungen geheim blieben. Ihrer Meinung nach, sei nicht derjenige, der die Meldung macht der „Nestbeschmutzer“, sondern die Person, die gegen die polizeilichen Grundsätze verstößt. Ob Theorie und Praxis hier voneinander abweichen ist fraglich. Ben meint, dass es aus seiner Erfahrung heraus einfach zu wenig Momente gibt, in denen aktiv rassistischen und extremistischen Äußerungen Einhalt geboten wird.
Welche Möglichkeiten gibt es also überhaupt, um aktiv Rassismus in der Polizei einzudämmen? „Die beste Strategie ist auf jeden Fall für Diversität Werbung zu machen“, so die BKA-Kriminalkommissarin. Wenn die Polizei aktiv auch Menschen mit Migrationshintergrund anwerbe, dann entstehe ein Arbeitsumfeld, dass weniger mit Vorurteilen und Stereotypen behaftet sei. Sie selbst sagt: „Ich hatte nie das Gefühl, dass Rechtsextremismus ein Problem im BKA ist. Viele Kollegen von mir haben einen Migrationshintergrund und das ist bei uns völlig normal und akzeptiert.“ Sie sagt außerdem, dass es wichtig sei „Flagge zu zeigen“. Wenn man öffentlich klar mache, dass Rechtsextremismus und Rassismus bei der Polizei nicht erwünscht seien, dann würden sich auch keine Leute mit solchem Gedankengut dort bewerben. In der WDR-Doku stimmt Kai Seidensticker dem prinzipiell zu. Er bemängelt aber, dass die Anerkennung dafür fehlen würde, dass es eben nicht nur Einzelfälle sind, sondern dass die Konstruktion der polizeilichen Tätigkeit selbst strukturell guten Nährboden für solches Gedankengut bildet. Er bringt den Vorschlag, auch in der Ausbildung und während der gesamten Dienstzeit durch politische Bildung die negativen Alltagserfahrungen aufzuarbeiten und kritisch zu reflektieren. Auch Ben hätte sich als junger Polizist einen solchen Weckruf gewünscht. „Man bräuchte eine Person, einen Vorgesetzten, der einem klarmacht: Leute, da draußen ist zwar die Hölle, aber denkt dran, wir haben nur mit einem Prozentsatz der Gesellschaft zu tun. Und das ist ja überall in allen Ländern gleich. Denn wer hat meist die schlechtesten Chancen? Jemand, der nicht aus dem Land kommt.“
Viele Opfer von Polizei-Rassismus haben das Vertrauen in die Polizei als Rechtsorgan verloren. Sie klagen über zu wenig Kontrolle der Institution Polizei und über rechtliche Verfahren, die meist keine Konsequenzen mit sich bringen. Die BKA-Kriminalkommissarin erläutert, dass bei einem Vorwurf von Rassismus oder anderen Verstößen, meist eine interne Revision aktiv wird. „Verstoßen Beamte gegen das Strafgesetzbuch, dann ermittelt zunächst die örtlich zuständige Polizei. Aber auch in der Behörde selbst wird intern geprüft, ob gegen das Disziplinarrecht verstoßen wurde. Kommt es zu einer Strafanzeige, werden die entsprechenden Ermittlungsergebnisse dann an die Staatsanwaltschaft weitergegeben.“ Viele sehen dieses Verfahren kritisch, so auch Ben: „Es kann ja nicht sein, dass das Revier Offenburg eine Ermittlung gegen zwei Polizisten aus Freiburg führt. Das ist nur eine E-Mail entfernt.“ Er ist der Meinung, dass es in Deutschland ein unabhängiges Kontrollorgan für die Polizei geben müsste. Dieses könne dann ihre unabhängigen Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft und dem Gericht vorlegen. „So wäre auch die Gewaltenteilung gewahrt.“ Ein Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Eric Töpfer, berichtet im Zuge der WDR-Doku, dass es so etwas bereits in mehreren Ländern gibt. Beispielsweise in Dänemark und Großbritannien, wo solche Stellen sowohl Beschwerden gegen Polizeibeamt*innen bearbeiten als auch strafrechtliche Ermittlungen gegen sie durchführen können. Solche Entmachtung des Polizei-Organs durch externe Kontrollen könnte im Umkehrschluss auch das öffentliche Vertrauen in die Polizei zurückgewinnen. Auch das polizeiliche Personal könnte so körperlich und psychisch entlastet werden, da sie keine Ermittlungen mehr gegen die eigenen Reihen führen müssten, heißt es in der WDR-Doku.
Ben wünscht sich für die Zukunft, dass die Berichterstattung über die Polizei in beide Richtungen geht und man nicht nur versucht, die Klischees und Vorurteile zu bestätigen. Die meisten Polizist*innen seien hoch motiviert und würden einen klasse Job machen. Vor allem die jüngere Generation, die meist viel aufgeklärter sei, gebe ihm Hoffnung. Beachten sollte man trotzdem, dass ein institutionelles Rassismus-Problem der Polizei, laut Definition, nicht auf Einzelfälle und individuelle Ansichten zurückzuführen ist. Schlussendlich bietet die Polizei als Institution in ihrer jetzigen Struktur viel Platz für rassistische und diskriminierende Ansichten. Hier müssen weitere reformierende Praktiken ansetzen, um eine Grundlage zu schaffen, die solchem Gedankengut keinen Raum lässt.
Über die Autorin:

Malin studiert Liberal Arts and Sciences in Freiburg. Sie faszinieren Journalismus und die Möglichkeiten einer gerechten Berichterstattung. Malin schreibt gerne über Themen, die vielen bekannt sind und hofft so zur Aufklärung von Vorurteilen und Klischees beizutragen.