Gemeinsam Brücken bauen

Von Paula Troidl

Rund 25 Prozent aller Menschen in Freiburg haben eine Migrationsgeschichte – viele von ihnen erleben Diskriminierung in ihrem Alltag. Vereine in Freiburg setzen sich für ein friedliches Zusammenleben ein. Doch ist den Menschen damit wirklich geholfen?

„Niemand ist frei von Diskriminierung und niemand ist frei von Rassismus, auch wenn man noch so weltoffen eingestellt ist“, davon ist Esther Röcher überzeugt. Die 24-Jährige arbeitet seit 10 Monaten bei dem Verein Start with a friend in Freiburg. Dort bringt sie Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte zusammen. Röchers Ziel: Begegnungen zwischen Menschen schaffen, damit Vorurteile abgebaut werden. „Start with a friend normalisiert die Begegnung zwischen Menschen, die eingewandert sind, und Locals. Es werden Berührungspunkte geschaffen, wo sonst keine sind“, beschreibt Röcher.

Sie initiierte unter anderem die Begegnung zwischen Abdullah und Clara. Ich verabrede mich mit den Beiden in einem Freiburger Café. Bei meiner Ankunft wartet Clara bereits davor. Nach einigen Minuten kommt Abdullah auf uns zu und umarmt Clara. Wir betreten das Café und setzen uns an einen Tisch in der Mitte. Clara und Abdullah beginnen, sich über den vorherigen Abend zu unterhalten. Gemeinsam mit anderen Mitgliedern von Start with a friend haben sie eine Fackelwanderung auf den Schlossberg gemacht. Lächelnd schauen sie sich die Bilder des Vorabends an. Die beiden wirken vertraut.

Abdullah hat diesen Sommer in seinem Deutsch-Sprachkurs von Start with a friend erfahren. Er registrierte sich bei dem Verein und wurde zu einem ersten Gespräch eingeladen. In einem Fragebogen sollte er unter anderem seine Interessen und seine Motivation, bei Start with a friend mitzumachen, angeben. Clara hatte ihr erstes Gespräch mit Esther Röcher. Sie und ihre Kolleg*innen waren der Meinung, dass Clara und Abdullah gut zusammenpassen könnten und informierten sie per E-Mail über das Match. Beide stimmten dem Treffen zu und erhielten somit die Kontaktdaten der jeweils anderen Person. Ihre erste Begegnung folgte dann im Oktober.

Seit ihrem Kennenlernen verbringen Clara und Abdullah regelmäßig Zeit miteinander. Sie treffen sich wie heute im Café, besuchen Veranstaltungen oder gehen spazieren. Abdullah erzählt: „Bevor ich mich bei Start with a friend angemeldet habe, habe ich kaum Zeit mit anderen Menschen verbracht. Durch die Treffen mit Clara habe ich meine Komfortzone verlassen.“ Die Begegnung mit Clara verhalf ihm außerdem zu neuen Einblicken in die deutsche Sprache. Denn Clara verwendet oftmals umgangssprachliche Begriffe, die er in seinem Deutsch-Sprachkurs nicht kennenlernen konnte: „Bevor ich Clara getroffen habe, dachte ich, ich wüsste sehr viel über die deutsche Sprache. Aber nach ein paar Treffen habe ich gemerkt: Eigentlich weiß ich überhaupt nichts“, erzählt er lachend.

Auch Clara hat die Teilnahme bei Start with a friend positiv beeinflusst. Durch die Freundschaft mit Abdullah habe sie ihren Horizont erweitern können. Mittlerweile blicke sie noch offener auf Menschen und ihre Geschichten und sei sensibler in Bezug auf Vorurteile geworden: „Menschen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte wird häufig die Individualität abgesprochen. Es kommt einfach immer auf den Menschen an und man kann nichts verallgemeinern. Man kann nicht sagen: Die Syrer*innen, die Albaner*innen. Nein, wir sind alle Individuen“. 

Clara habe auch gemerkt, dass die Art, wie ein Mensch aufgewachsen ist, nicht seine Werte beeinflussen muss. Abdullah sei in einer völlig anderen politischen Lage aufgewachsen, als  sie hier in Deutschland. Trotzdem würden sie Beide ähnliche Wertvorstellungen vertreten und sich ihre Denkmuster stark überschneiden. Erst durch die Treffen mit Abdullah sei Clara aufgefallen, dass sie dies nicht für möglich gehalten hatte. „Vielen Menschen ist ihre eigene Voreingenommenheit nicht bewusst, bis sie einen Menschen treffen, der ihnen diese deutlich macht. Begegnungen können also eigene Vorurteile aufdecken und abbauen.“

Auch Sherin, die den Verein Coexister Germany E.V. gegründet hat, setzt sich für eine Gesellschaft ein, in der sich die Menschen gegenseitig akzeptieren. Die 22-Jährige hat zum ersten Mal während ihrer Arbeit in der Arche Grenoble von Coexister France E.V. erfahren. Die Werte und Aktivitäten des Vereins überzeugten sie so sehr, dass sie nach ihrer Rückkehr in Deutschland 2021 gemeinsam mit anderen jungen Menschen beschloss, Coexister E.V. auch in Deutschland zu etablieren. 

Die ersten Treffen aller Mitglieder fanden aufgrund der Corona-Pandemie über Zoom statt. Im Oktober 2021 folgte schließlich das erste Treffen in Bonn. Gemeinsam wurden die Ziele des Vereins festgelegt. Nämlich Menschen mit unterschiedlichen religiösen Überzeugungen, Werten und verschiedener Herkunft zusammenzubringen und so den Austausch zwischen ihnen fördern. 

Ein Jahr später veranstaltete Coexister Germany E.V. eine Tagung in Worms, zu der auch Nicht-Mitglieder kommen konnten, um den Verein kennenzulernen. Dieses Treffen war sehr bewegend für Sherin. Sie erzählt, dass Menschen mit ganz unterschiedlichen Geschichten und Hintergründen an diesem Wochenende zusammengekommen seien: „Ich habe Personen mit einer völlig anderen Lebensrealität als meiner kennengelernt und konnte aus diesen Begegnungen sehr viel lernen.“ Der Austausch mit einer jungen Frau, die genau wie Sherin Muslima sei, habe ihr neue Sichtweisen aufgezeigt: „Teilweise lernt man innerhalb der eigenen Religion Menschen mit einer anderen Weltanschauung kennen.“

Die Lokalgruppen von Coexister Germany E.V. sind mittlerweile in zahlreichen deutschen Städten vertreten und veranstalten regelmäßig gemeinsame Aktionen. Mitwirken können alle Menschen im Alter von 15 bis 35 Jahren. Die Gruppe in Freiburg organisierte im November zum Beispiel einen Filmabend mit anschließender Diskussion.

Coexister Germany E.V. stellt für Sherin einen Ort der Begegnung dar. Sie betont, dass alle Menschen im Verein willkommen seien und mitwirken dürften: „Jede Person soll mit dem kommen, was Teil ihrer Identität ist, und soll das einbringen, was für sie wichtig ist.“ Dadurch würden diskriminierende Haltungen aufgedeckt und verringert werden. Sherin ist überzeugt, dass das durch den Verein erreicht werden kann: „Coexister Germany E.V. bringt unterschiedlichste Menschen zusammen, mit denen man sonst wahrscheinlich nie in Berührung gekommen wäre. Der Austausch mit ihnen ändert mit der Zeit die eigene Haltung. Man baut ein Vertrauen zu einer Person aus einer ganz anderen Community auf, dadurch können die eigenen Vorurteile aufgebrochen werden.“

Es ist also sowohl das Ziel vom Verein Start with a friend als auch das  von Coexister Germany E.V., eine diskriminierungssensible Gesellschaft zu verwirklichen. Aber reicht die Antidiskriminierungsarbeit in Freiburg aus, damit diese Vision erfüllt wird? 

Esther Röcher zeigt die Grenzen der Antidiskriminierungsarbeit auf. Denn derartige Projekte sprechen laut Röcher nur die Personen an, die bereits offen gegenüber Vielfalt sind: „Um die Menschen zu erreichen, die maßgeblich an diskriminierenden Strukturen beteiligt sind, muss ganz andere Arbeit geleistet werden. Zunächst muss erst einmal untersucht werden, warum es Rassismus gibt und welche Milieus betroffen sind“, findet die 24-Jährige.

Außerdem kritisiert sie, dass der Großteil der Freiburger Vereine, die sich für Antidiskriminierung einsetzen, nicht staatlich gefördert würden und ihnen somit ein geringer Stellenwert zugeschrieben werde: „Antidiskriminierung sollte keine Arbeit darstellen, die nebenher betrieben wird.“

Obwohl die derzeitige Antidiskriminierungsarbeit in Freiburg laut Röcher für eine diskriminierungssensible Gesellschaft nicht ausreicht, sieht sie die Projekte als einen guten Anfang für eine nötige Veränderung: „Auch wenn diese Angebote wohl nur bestimmte Menschen ansprechen, gilt: Wir alle leben in diesem System und haben Vorurteile, davon ist niemand frei und ich finde deshalb können die Projekte auch bei den Menschen nachhaltig wirken, die bereits offen gegenüber Vielfalt sind“.

Über die Autorin:
Paula Troidl

Paula ist 22 Jahre alt und am Ende ihres Studiums der Heilpädagogik/Inclusive Education. Neben und im Rahmen ihres Studiums setzt sie sich viel mit gesellschaftspolitischen Themen wie Rassismus, Ableismus und Sexismus auseinander. Sie liebt es, neue Menschen und ihre Geschichten kennenzulernen.

Kommentar verfassen

Zurück nach oben

Entdecke mehr von Stimmen gegen Rassismus und Populismus

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen