Volle Pulle Engagement

Von Alick Berliocchi

Yady Camara hilft Menschen, die mit dem Ziel nach Frankreich kommen, zu studieren und es dabei nicht immer einfach haben. Sein Kollektiv an der Universität Lyon 2 ist eine Anlaufstelle für ausländische Studierende und Studierende ohne Papiere, das heißt ohne sicheren Aufenthaltsstatus. Ein Portrait über die Arbeit des Kollektivs und seinen Vize-Präsidenten.

„Mein Vater ist meine größte Inspiration“, sagt Yady Camara, „er ist wirklich ein Kämpfer und immer da, um anderen zu helfen. Ich bin damit aufgewachsen und es hat mich durch und durch geprägt“. In seinem Amt als Vize-Präsident eines Studierendenkollektivs an der Universität Lyon 2, das ausländischen Studierenden hilft, und solchen, die keine Papiere haben, bringt Yady genau dieses Engagement bringt mit.

Yady kommt aus Guinea. Seit er mit dem Politikwissenschaften-Bachelor begonnen hat, engagiert er sich nebenher auch politisch. An der Universität der guineischen Hauptstadt Conakry war er Vize-Präsident seines Studienjahrgangs und nebenbei Präsident der demokratischen Studierendenbewegung. Heute ist er 26 Jahre alt und studiert an der Universität Lyon 2 weiterführend Politikwissenschaften im Master. Die Leitung des Studierendenkollektivs zu übernehmen war da nur logisch, sagt er.

Foto: Collectif des Étudiant-e-s Étranger-ère-s, Sans Papiers et Solidaires (CEELSPS)

Mit 17 kommt er nach Frankreich – und erlebt eine große Überraschung: Das träumerische Bild, das man in seiner Heimat von Frankreich hat, stimmt so gar nicht mit der Realität überein, die er wahrnimmt. Was ihn besonders geprägt hat, seien die besetzen Häuser, die in Frankreich als Squats bezeichnet werden. Aufgrund des knappen und teuren Wohnraums, mussten viele Menschen in leerstehenden Häusern wohnen. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass in einem so fortschrittlichen Land wie Frankreich so viele Menschen auf der Straße leben“, sagt er. „Ich dachte hier in Frankreich wäre alles perfekt. Aber in Wirklichkeit ist es ganz anders, als das, was uns die Medien in Guinea immer zeigen.“

2018 wird Yady Mitglied des Kollektivs. Damals wurde ein ehemaliges Gymnasium im Raum Lyon besetzt. Mit den Menschen, die dort wohnen, wollte er solidarisch sein. „Ich habe in dem Camp geschlafen, ich war verantwortlich dafür, dass dort alles gut läuft. Nebenbei hatte ich meine Kurse an der Uni. Aber eigentlich wurde ich immer im Camp gebraucht“, erzählt Yady.

Für den jungen Mann spiele Hautfarbe keine Rolle, sagt er. „Alles was ich will, ist ihnen zu helfen und sie zu beschützen.“ Die Haltung unterstützt auch das Kollektiv, wie Yady erklärt: „Hier sind Menschen, die unter sehr prekären Bedingungen leben, da müssen wir einfach etwas tun. Das Kollektiv hat mir am Anfang viel geholfen, da war klar, dass ich auch ein Teil davon sein möchte.“

Ein Kampf um die Rechte ausländischer Studierender

Gerade setzt sich das Kollektiv dafür ein, dass die Einschreibegebühr an der Universität von Lyon für ausländische Studierende nicht erhöht wird. Nicht der erste Kamp des Kollektivs, das es seit 2015 gibt. In Solidarität mit ihren Kommiliton:innen ohne Papiere, besetzten damals ein paar Hundert Studierende einen Hörsaal der Universität Lyon 2. Auf Anweisung der Präsidentin der Universität wurde der Hörsaal von der Polizei geräumt. Aber der Vorfall bleibt nicht ohne Reaktionen, schnell ist das Kollektiv gegründet.

2016 dann ein erster Erfolg für das Kollektiv: Die Präsidentin der Universität macht den Weg frei für ein neues Dringlichkeitsverfahren. Es vereinfacht den Einschreibungsprozess für die Studierenden ohne Papiere und die asylsuchenden Studierenden an der Universität. Das reicht dem Kollektiv aber noch nicht. Es will den Betroffenen nicht nur bei der Einschreibung helfen, sondern auch bei der Registrierung bei der Ausländerbehörde in Lyon.

Ein anderes wichtiges Anliegen für das Kollektiv: die Verhaftungen von Studierenden, die sich nicht ausweisen können und keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben. Weil die bloße Einschreibung an der französischen Universität ihren Aufenthaltsstatus nicht automatisch sichert, kommt es immer wieder vor, dass sie von Grenzpolizei festgenommen und in eine Hafteinrichtung gebracht werden. An der Universität wissen viele der Studierende nicht, welche Rechte ihnen zustehen, und welche nicht. Aus diesem Grund organisiert das Kollektiv auch Treffen mit Expert:innen, die auf die Rechte von Migrant:innen spezialisiert sind. Für Yady ist das nur der Anfang. Er möchte viele weitere Zusammenkünfte und Konferenzen planen, bei denen die Situation und die Probleme der Studierenden thematisiert werden.

Keine Anerkennung

Die Corona-Pandemie hat viele ausgebremst, auch das Kollektiv an der Lyoner Universität. Genutzt hat es die Zwangspause dennoch. Es hat sich neu organisiert und einen neuen Vize-Präsidenten gewählt: Yady Camara. Und es hat die Zusammenarbeit zwischen den zwei großen Universitäten in Lyon gestärkt, denn zur Universität Lyon 1 gehört die Fakultät für Naturwissenschaften. Das sei besonders wichtig, da viele Studierende aus dem Ausland bereits mit einem abgeschlossenen Bachelor- oder sogar Masterstudium nach Frankreich kommen. Dieses wird aber nicht immer von den französischen Universitäten anerkannt. Viele seien deswegen gezwungen, sich umzuorientieren und ein neues Studium zu beginnen, das nicht unbedingt ihren Interessen und Kompetenzen entspricht. Das will Yady und das Kollektiv in Zukunft verhindern.

„Leider ist es mit 15 Mitgliedern im Kollektiv schwer, all das umzusetzen, was wir gerne erreichen möchten. Wir fallen an der Universität einfach nicht so ins Gewicht.“, gibt Yady zu bedenken. „Es wäre deswegen sehr hilfreich, mit anderen Universitäten in Verbindung zu stehen. Dann wäre es einfacher, die ausländischen Studierenden in den Fächern einzuschreiben, die sie gerne studieren möchten“. Aber Yady baut nicht nur auf die Zusammenarbeit mit anderen Fakultäten. Er steht in Kontakt mit verschiedenen Abgeordneten in Lyon und Umgebung. Das Kollektiv versucht auch, mit anderen Studentenorganisationen zusammen zu arbeiten. Da wäre zum Beispiel die GAELIS, ein Verein der Studierenden-Vertreter:innen mit vielen Mitgliedern, oder Nicht-Studierendenvereine wie die CIMADE oder die Liga für Menschenrechte, die sich auf die Rechte von Migrant:innen spezialisiert haben.

Kein Bürge? Keine Unterkunft!

Alle ausländischen Studierenden können von prekären Lebensbedingungen betroffen sein, entweder, weil sie kein soziales Umfeld finden, in dem sie sich wohlfühlen, oder weil sie keine passende Unterkunft finden können. Yady ist mit dieser Situation unzufrieden: „Manchmal müssen die Studierenden bei ihrer Ankunft in Frankreich viel Geld für Übernachtungen im Hotel zahlen, weil sie einfach keine Wohnung finden“, sagt er kopfschüttelnd. „Es gibt Vereine, die private Unterkünfte anbieten, aber dafür braucht man einen Bürgen. Die können viele der ausländischen Studierenden aber nicht nachweisen. Und das Studierendenwerk Lyon stellt auch nicht genügend Unterkünfte zur Verfügung.“ Das Studierendenwerk Lyon bietet vergleichsweise günstige Unterkünfte für Studierende an. Die Plätze sind daher sehr begehrt, es braucht viel Glück, um einen davon zu bekommen.

In extremen Fällen versucht das Kollektiv eine vermittelnde Rolle zu übernehmen. Die Mitglieder weisen die Studierenden auch auf Möglichkeiten finanzieller Unterstützung, auf Essensausgaben oder Sachspenden hin. Das sei wichtig, da viele nicht wüssten, wo sie sich Hilfe holen können, meint Yady. Auch Scham spiele dabei eine große Rolle. Sie sei für viele der Studierenden ohne Papiere eine weitere Bürde, so Yady. Er glaubt, dass viele nicht um Hilfe fragen, weil sie für ihre Umstände nicht verurteilt werden wollen, oder sich vor rassistischen Anfeindungen fürchten: „Eigentlich betrifft diese Angst alle, die für ihr Studium nach Frankreich kommen.“

Kontakte knüpfen

Yady ist ein lebendiger junger Mann, hat immer ein breites Lachen im Gesicht. Er wirkt engagiert und offen, es fällt ihm leicht, Freunde zu finden. „Die Französinnen und Franzosen sind ein bisschen schüchtern im Umgang mit uns Ausländern. Man muss schon auf sie zugehen, sie machen das eher weniger.“, erklärt er. Yady hat seine Freunde beim Fußballspielen kennengelernt, seinem Lieblingssport. Dank Sport neue Freund:innen finden, das empfehlt er auch den Neuangekommenen. Nur manchmal gäbe es auch dort unschöne Momente, rassistische Kommentare und schiefe Blicke. Aber auch dann ist das Kollektiv für die ausländischen Studierenden da und versucht, sie zu unterstützen und ihnen das Gefühl zu geben, nicht alleine zu sein.

Vier Jahre lebt Yady schon in Lyon. Inzwischen fühlt er sich hier wie zu Hause, die Stadt kennt er wie seine Westentasche. Nur seine Familie fehlt ihm sehr, aber er schöpft immer neue Kraft aus der Religion: „Ich glaube ans Schicksal, deswegen versuche ich, mich nicht zu beschweren. Ich werde mich immer für diejenigen einsetzen, die am verletzlichsten sind und Hilfe brauchen, ich werde immer gegen die Ungerechtigkeit, die sie erfahren, ankämpfen. Das ist wirklich der Sinn meines Lebens. Geld interessiert man nicht, das kann man nicht mit ins Grab nehmen“.

Auch wenn Yady in Lyon seine zweite Heimat gefunden hat, seine Heimat Guinea wird er nie vergessen. Und auch da würde er sich gerne wieder mehr einsetzen: „Vielleicht kann ich dort auch eines Tages wieder Menschen helfen. Aber jetzt konzentriere ich mich erst einmal auf meinen Master hier und meine Arbeit im Kollektiv.“

Übersetzung Charlotte Müller

Über die Autorin
Alick Berliocchi

Alick ist 19 Jahre alt. Sie studiert im zweiten Jahr Öffentliche Verwaltung. Später möchte sie sich spezialisieren, am liebsten im Bereich Menschenrechtsstudien, um Verbandsjuristin zu werden.

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