Islamo-gauchisme in Frankreich – ein populistischer Kampfbegriff der extremen Rechten oder eine soziale Tatsache?

Um den Begriff „Islam-Linke“ (frz. islamo-gauchisme) ist in den letzten Monaten eine heftige Diskussion entstanden. Während die einen darin eine gefährliche Allianz einiger Linksextremer mit fundamentalistischen Muslim*innen sehen, unterstellen die anderen eine islamophobe Instrumentalisierung von rechts. Seit der Anordnung einer Studie zur „Islam-Linken“ an Universitäten im Land im Februar 2021 hat die Debatte einen neuen Höhepunkt erreicht.

Für die einen ein instrumentalisierter Kampfbegriff der Rechten, für die anderen ein reales sozio-politisches Phänomen: Der Begriff „Islam-Linke“ lässt im säkularisierten Frankreich verschiedene gesellschaftliche Ideologien aufeinanderstoßen. Einige Stimmen aus dem konservativen und rechten Lager sehen die scheinbare Allianz zwischen Linksextremen und fundamentalistischen Muslim*innen als Bedrohung für die französische Gesellschaft und machen die politische Linke verantwortlich. So wird der Linken vorgeworfen, sich ausschließlich für die Diskriminierung von Muslim*innen zu interessieren, nicht aber für radikale Gruppierungen, von denen islamistischer Terror ausgehen könne. Gegen diese Auffassung halten Stimmen von links: Für sie ist die Bezeichnung „Islam-Linke“ ein populistischer Kampfbegriff der Rechten, der nicht nur Rassismus und Islamophobie befeuert, sondern auch die politische Linke diffamieren will. 

Eine soziale Tatsache für die Mehrheit der französischen Bevölkerung

Das französische Meinungs- und Marketingforschungsinstitut IFOP hat im Februar 2021 eine Umfrage unter dem Titel „Die Franzosen und der Begriff der Islam-Linken“ veröffentlicht. Diese zeigt, dass zwei Drittel der Befragten den Begriff für eine weit verbreitete Ideologie halten, während er für die übrigen Befragten kaum oder gar nicht existent ist. Es fällt auf, dass die Mehrheit der Befragten, die die „Islam-Linke“ als weit verbreitetes sozio-politisches Phänomen betrachten, aus dem konservativen und rechten politischen Lager kommt. So bezeichnen sich 79% der Befragten als Sympathisant*innen der liberal-konservativen Partei „Les Républicains“, 71% ordnen sich dem rechten „Rassemblement National“ zu. Auch das Alter scheint eine Rolle zu spielen: Vor allem für die über 65-Jährigen ist die „Islam-Linke“ eine existente soziale Tatsache.

Ursprung des Begriffs

Zum ersten Mal – noch bevor Sprecher*innen der extremen Rechten und der Partei „Rassemblement National“ den Begriff in ihr Vokabular aufnahmen – verwendete der Historiker Pierre André Taguieff den Begriff „Islam-Linke“ in seinem Buch „Der Neue Judenhass“. Taguieff versuchte damals eine gefährliche ideologische Überschneidung einiger radikaler Linker mit dem Islamismus zu beschreiben, die sich seiner Meinung nach insbesondere im marxistischen Internationalismus manifestierte. Durch diese Annäherungen weltlicher und religiöser Ideologien entstehe ein neuer Antisemitismus und Antizionismus. Dieser hatte sich zum Beispiel bei der UN-Konferenz im Jahr 2001 in Durban gezeigt. Dort verteilten damals Aktivist*innen der extremen Linken und Islamist*innen Flugblätter, die Hitler nachtrauerten. Das schockierte nicht nur die Medien, sondern auch andere linke Aktivist*innen, die gekommen waren, um jegliche Art von Rassismus anzuprangern, wie die französische Journalistin und Schriftstellerin Caroline Fourest in einem Beitrag in der taz schreibt.  

Aktuelle Debatte um die „Islam-Linke“ im französischen Hochschulsystem

Im Februar 2021 beauftragte die französische Ministerin für Hochschulbildung, Forschung und Innovation Frédérique Vidal die französische Forschungsorganisation CNRS eine Studie über den Einfluss der „Islam-Linken“ in allen Fachbereichen der Hochschulen des Landes durchzuführen. Dabei sollte überprüft werden, ob wissenschaftliche Forschungsarbeiten militantes Gedankengut enthalten. Vidal begründete diesen Schritt mit der Befürchtung, dass die Islam-Linke die Universitäten „vergifte“. Auslöser für diese Besorgnis war ihren Angaben zufolge, der Sturm von Anhänger*innen des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Trumps auf das Kapitol in Washington im Januar 2021 gewesen, bei dem auch die Flagge der Konföderierten Staaten von Amerika gezeigt worden war. Ihrer Meinung nach könnten postkoloniale Ressentiments auch in Frankreich zum Problem werden.

Universitäre Vertreter*innen sehen die akademische Freiheit in Gefahr

Vidals Auftrag eine Studie über die „Islam-Linke“ an Hochschulen anzufertigen, sorgte für Erstaunen bei der Konferenz der Universitätspräsidenten (CPU), die eine sofortige Klarstellung verlangte. Mehr als 600 Mitglieder der Hochschulbildung reagierten noch heftiger und forderten in einem offenen Brief den Rücktritt Vidals. Den Auftrag zur Studie verstanden sie als eine „Gefahr der intellektuellen Unterdrückung“. Die politische Vorgehensweise der Hochschulministerin verglichen sie mit derjenigen der Regierungschefs von Polen, Brasilien und Ungarn, die bereits in der Vergangenheit mehrfach – teilweise erfolgreich – versucht hatten die universitäre Arbeit der postkolonialen Studien, Gender Studies und Rassismusforschung in ihren Ländern staatlich zu regulieren. So wurde vor allem kritisiert, dass Vidal mit der Studie die akademische Freiheit in Frage gestellt habe, was den Grundrechten des französischen Staates widerspreche. Die darauffolgenden Reaktionen der Politik waren kontrovers: Die politisch linke Partei „La France Insoumise“ zeigte sich schockiert und bezeichnet Vidals Vorgehen als „Hexenjagd“. Der französische Bildungsminister Jean-Michel Blanquer dagegen, der der Partei „La république en marche“ angehört, befürwortete das Vorgehen Vidals: Die „Islam-Linke“ sei eine unverkennbare soziale Tatsache, die noch immer von einigen kleingeredet werde.

Islam-Linke polarisiert Frankreich

Worum es in der Diskussion um die „Islam-Linke“ eigentlich geht, ist Säkularisierung und nationale Identität. Wie die CNRS in einer Pressemitteilung vom 17. Februar 2021 versicherte, stellt die „Islam-Linke“ keine wissenschaftliche Realität dar. Es handelt sich vielmehr um einen polemisierten und von verschiedenen politischen Parteien instrumentalisierten Begriff, der nicht genau zu definieren ist. Problematisch ist er vor allem deshalb, weil er weder zwischen Islamisten*innen und Muslim*innen noch Linken bzw. radikalen Linken differenziert. In der aktuellen Debatte scheint der Begriff „Islam-Linke“ – seinem ursprünglichen Kontext entrissen – in erster Linie der Polarisierung der sozio-politischen Landschaft Frankreichs zu dienen.


Quellen:

*Artikelbild von Martin Tulik


Über den Autor:
Martin Arz

Martin Arz kommt aus Berlin, absolviert einen deutsch-französischen Freiwilligendienst in Lyon und reist gerne.

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