Rechtspopulismus in Europa: Frauen in einer Vormachtstellung?

Von Emily McHugh

Dies ist eine übersetzte Version.

Nur ein kleiner Teil der rechtsextremen Politiker*innen ist weiblich, und doch ist ihr Erfolg immens. Ein europaweiter Blick auf politische Spitzenpositionen bestätigt: Obwohl Politik von Männern dominiert ist, werden Führungspositionen der rechten Szene trotzdem von Frauen besetzt. Ist das reiner Zufall? Oder steckt da mehr dahinter?

Wenn die meisten Menschen an Politiker*innen aus dem nationalistischen, rechtsextremen Spektrum denken, kommt ihnen das Bild eines älteren, weißen Mannes in den Sinn. Doch das vergangene Jahr könnte dieses Bild durcheinander gebracht haben, denn zwei Figuren sind besonders in die Aufmerksamkeit der europäischen Medien gerückt: Marine Le Pen vom Front National, die im April 2022 beinahe Frankreichs neue Präsidentin wurde – und Giorgia Meloni, die im September als Postfaschistin zur ersten italienischen Ministerpräsidentin gewählt wurde. Beide sind Frauen. Beide sind Rechtsextremistinnen. Beide sind recht erfolgreich. Könnte das Geschlecht also eine Rolle bei der wachsenden Popularität von Nationalistinnen in Europa spielen?

Um diese Frage zu beantworten, ist es zunächst wichtig zu untersuchen, was Frauen in der extremen Rechten heutzutage so sichtbar macht. Viktoria Rösch, Wissenschaftlerin am soziologischen Institut der TU Dresden, stellt dazu richtig: “Niemand kann behaupten, dass Frauen die rechtsextreme Politik übernommen haben. Es handelt sich nach wie vor um ein stark männerdominiertes Feld, und es gibt im Rechtsextremismus nicht unbedingt mehr Frauen als in anderen Teilen des politischen Spektrums.“ Obwohl sie zustimmt, dass die gestiegene Zahl der Frauen im Rechtsextremismus emerkenswert ist, versteht sie die Verwunderung nicht, die dieser Entwicklung entgegengebracht wird: Die Mehrheit der europäischen Frauen hat ein besseres Verständnis für Politik, ihre Inspiration wurde durch ihre weiblichen Vorbilder geschärft. Das hat natürlich zur Folge, dass einige von ihnen sich der Politik zuwenden. „Was sich geändert hat“, so Viktoria Rösch weiter, „ist die Sichtbarkeit von Frauen in der extremen Rechten. In der Zeit, in der ihre politischen Ideen nicht ernst genommen wurden, erwartete man von Frauen, dass sie einen Haushalt führen und nicht eine politische Partei.“ 

Erst im 20. Jahrhundert gab es das Frauenwahlrecht. In Finnland wurde es zuerst 1906 eingeführt, in Deutschland kam das Frauenwahlrecht 1918. In Frankreich war es 1944 eingeführt worden, und zwei Jahre später erhielten auch die Italienerinnen das Recht zum Wählen. Damit ist das Frauenwahlrecht jünger als das Auto, das 1886 erfunden wurde. Dennoch haben feministische Bewegungen, die seit 1848 die Erde aufgewühlt haben, Wirkung gezeigt, denn Frauen haben sich in der Politik durchgesetzt.

Aber: Der Gedanke an Frauen in den lodernden Höhen der extremen Rechten kann als rätselhaft empfunden werden, weil die rechtsextreme Ideologie gegen sie spricht. Frauke Petry, von 2013 bis 2017 Mitglied der AfD („Alternative für Deutschland“), ist dafür ein gutes Beispiel: Obwohl sie selbst sechs Kinder hat und hauptberuflich Politikerin ist, trat sie für eine Partei an, die berufstätige Mütter zutiefst kritisiert – besser gesagt, die Rolle der Frau auf das Familienleben reduziert. Petry ist aber nicht die einzige Wahlkämpferin dieser Partei. In den acht Jahren, in denen Beatrix von Storch der AfD angehörte, haben zahlreiche ihrer misogynen Äußerungen für Entsetzen gesorgt. Eine davon ist ihre Frustration über Gender Mainstreaming. Diese Strategie, die auf die Weltfrauenkonferenz von Nairobi 1985 zurückgeht, zielt auf die Gleichstellung der beiden Geschlechter ab. Beatrix von Storch stellt dabei jedoch ein Problem fest: Sie ist nicht nur besorgt, dass Gender Mainstreaming Frauen davon abhält, Vollzeitmütter zu sein, sondern behauptet auch, dass es die Existenz von Geschlecht leugnet. Obwohl sie selbst keine Kinder hat, harmoniert die Idee einer traditionellen Familie wunderbar mit dem Ensemble ihrer politischen Ideen, wobei ihre Ablehnung der Abtreibung ebenso lautstark ertönt. Nicht der geringste Hauch von Feminismus bestimmt ihre Politik. In ihrer Zeit als stellvertretende Parteivorsitzende konnte die AfD dennoch einen großen Teil ihrer Wählerschaft für sich gewinnen, nicht zuletzt Frauen. 

Auch die Politikerinnen Marine Le Pen und Giorgia Meloni haben sich gegen die Abtreibung ausgesprochen. Vielleicht geht man davon aus, dass das, was aus dem Mund einer Frau kommt, für Frauen nicht schädlich sein kann. Allein die Tatsache, dass eine Frau diese Ideen verbreitet, überzeugt Frauen in der Wählerschaft davon, dass sie so nicht gegen die Rechte von Frauen stimmen. Vor allem für Menschen, die die Politik nicht allzu sehr verfolgen oder nicht verstehen, dass eine Frau in der Politik und eine Feministin zwei verschiedene paar Schuhe sind, könnte der Gedanke attraktiv erscheinen, eine Frau als Politikerin zu unterstützen – unabhängigg von ihrer politischen Ausrichtung.

Nach dem von uns Menschen sozialisierten Bild der Frau gilt nämlich: Frauen sind das sanftere Geschlecht. Diese Konstruktion des Frauenbilds könnte ein weiterer Grund für den Erfolg von Frauen im Rechtspopulismus sein. Die Politikwissenschaftlerin Jenny Degner-Mantoan erklärt: „Viele Menschen haben diese natürliche Annahme, dass Frauen weniger gefährlich sind als Männer. Selbst wenn sie genauso fähig sind, rechtsextreme Ansichten zu vertreten, halten die Menschen es im Allgemeinen für unwahrscheinlicher, dass Frauen Gewalt als Lösung einsetzen.“ Dies ist bei Marine Le Pen, der ehemaligen Vorsitzenden der rechtsextremen französischen Partei Rassemblement National, zum Beispiel der Fall. Im Gegensatz zu ihrem Vater Jean-Marie Le Pen, der seine einwanderungsfeindliche Ideologie ungefiltert in die Öffentlichkeit trug, vermeidet Marine Le Pen es, ihre radikalen Ansichten zu teilen. Indem sie den Parteinamen des Front National änderte und den Antisemitismus aus ihrem politischen Programm strich, hat sie deutlich gemacht, dass ihre Ansichten nicht nur eine Kopie der Politik ihres Vorgängers sind. Ihre Vorstellungen gegen Einwanderung geflüchteter Menschen werden mit dem Narrativ getarnt, französische Frauen vor sexuellen Übergriffen von Eingewanderten zu schützen. Worte wie „Frexit“ – der hypothetische Austritt Frankreichs aus der Europäischen Union – schmelzen in Harmlosigkeit dahin, wenn sie aus Marines Mund kommen, im Vergleich zu der Art und Weise, wie Jean-Marie den Austritt aus der EU forderte. Auch die Tatsache, dass sie ihren Vater drängte, den Front National, wie die Partei bis 2018 noch hieß, zu verlassen, deutet darauf hin, dass Jean-Maries Ansichten für ihren eigenen Geschmack zu sehr den Extremismus vertreten.

Ein Blick auf ihr Instagram-Konto unterstreicht ihr harmloses Image weiter: Ihr Profil besteht sehr viel aus Bildern von ihr mit Katzen, Hunden und Kindern – Fotos, die nicht nur auf Zärtlichkeit, sondern auch auf Mütterlichkeit schließen lassen.

Instagram/@marine_lepen: Selbstdarstellung von Marine Le Pen in sozialen Netzwerken

Im September 2022 erschien in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ ein Artikel mit dem Titel „Mütter der Nation“. In diesem Text untersucht die Journalistin Thea Dorn, wie sich die Mütterlichkeit einer Frau auf ihren politischen Erfolg auswirken kann. Anhand von Marine Le Pen und Giorgia Meloni untersucht Dorn, in welcher Art und Weise sich die beiden rechtsextremen Politikerinnen mütterlich präsentieren. Die sozialen Medien sind einer ihrer Hauptpunkte. Auf Le Pens Instagram-Account wimmelt es nur von Bildern, auf denen sie ihre Fans umarmt und mit Kindern posiert. Diese Zurschaustellung reicht aus, um Menschen davon zu überzeugen, dass Le Pen eine fürsorgliche Mutter ist. Auch bekannte französische Persönlichkeiten, wie Delphine Wespiser, die Miss France von 2012, sprechen sich für sie aus. In einem Interview im April 2022 hat Wespiser Le Pen als jemanden mit „weiblicher Sensibilität“ beschrieben, die Frankreich „vereinen“ und „schützen“ könne.

Die Suche nach einer nationalen Mutter herrscht nicht nur in Frankreich. Die Ergebnisse der italienischen Parlamentswahlen im September 2022 beweisen, dass die Attraktivität einer mütterlichen Führungspersönlichkeit auch anderswo zu finden ist. Mit ihrem Slogan „Italien und das italienische Volk zuerst“ verspricht Giorgia Meloni ihren Bürger*innen unendlichen Schutz. Doch ihre Mütterlichkeit hört damit nicht auf. Die 45-jährige Politikerin hat eine kleine Tochter, Ginevra Giambruno. Ihre Liebe zu diesem Mädchen zeigt sich nicht nur in den sozialen Medien, sondern auch in ihren persönlichen Entscheidungen. Indem sie sich weigert, in den Palazzo Chigi, die offizielle Residenz der italienischen Premierminister*innen zu ziehen, unterstreicht sie, dass ihr Leben über die Räume des Parlaments hinausgeht und zu ihrem Kind führt. Melonis Hingabe an Ginevra tanzt im Rhythmus ihrer Politik, in der die Familie eine ihrer obersten Prioritäten ist. Meloni ermutigt heterosexuelle Paare, mehr Kinder zu bekommen, und lehnt die gleichgeschlechtliche Ehe ab, da sie traditionelle Familien bevorzugt. Die Mutterschaft, die Meloni und Le Pen ihren Ländern vorleben, scheint keine Gefahr zu bergen. Doch Dorn erkennt eine große Bedrohung, die sich durch ihre Sanftheit zieht: Diese Frauen würden alles tun, um ihre Bürger*innen zu schützen, aber wie verhalten sie sich gegenüber anderen? Könnte es sein, dass eine weibliche Rechtspopulistin, die ihre Selbstdarstellung mit Weichheit abfedert, der Welt härtere Konsequenzen beschert als ein Mann? 

Anzumerken ist: Nicht nur in der extremen Rechten glänzen Frauen mit Erfolg. Mit Janine Wissler als Co-Vorsitzende der Partei Die Linke und Ricarda Lang als Co-Vorsitzende der Grünen gibt es in Deutschland Politikerinnen an der Spitze des gesamten Parteienspektrums. Auch in Frankreich, wo die Bürgermeisterin von Paris seit 2014 Anne Hidalgo vom Parti Socialiste (Sozialistische Partei) ist, oder in Italien, wo linke Politikerinnen keine Seltenheit sind. Emma Bonino, die Aktivistin von Piu Europa (Mehr Europa), ist nur ein Beispiel dafür. Letztendlich ist es wichtig, sich zu vergewissern, dass politischer Erfolg mehr ist als das Geschlecht. Ausgezeichnete rhetorische Fähigkeiten und ein aktueller Twitter-Account sind nur die Saat, aus der populistische Politiker*innen hervorgehen können.

Über die Autorin:
Emily McHugh

Es gibt nichts, was Emily mehr liebt als eine Ausrede, um Vorlesungen zu schwänzen. Sie ist in London geboren und aufgewachsen, bereut nun aber ihre Entscheidung, Deutsch an der Universität Freiburg eben nur mit Deutschen zu studieren. Die Teilnahme an diesem Journalismus-Workshop war nicht nur eine großartige Ablenkung von ihren Kursen, sondern auch eine unterhaltsame und lehrreiche Erfahrung, die sie anderen Studenten weiterempfiehlt.

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