Aufgrund der Corona-Pandemie gehen immer mehr Menschen auf die Straße, um gegen die Hygienemaßnahmen der Regierung zu demonstrieren. Viele haben einen berechtigten Grund, unzufrieden zu sein: Die gesamte Künstler*innen-Szene leidet. Warum es dennoch äußerst problematisch ist, auf den zahlreichen Hygiene-Demos Präsenz zu zeigen, kommentiert politikorange-Redakteur Martin Arz.
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Eine erhobene Reichsflagge, der Ansturm auf den Reichstag, entfremdete Judensterne mit der Inschrift „ungeimpft“ oder Vergleiche mit Widerstandskämpfer*innen und Opfern des Nationalsozialismus wie Anne Frank oder Sophie Scholl. All diese Dinge geschehen auf und um „Hygiene-Demos“ und verharmlosen eines der schrecklichsten Ereignisse in der Weltgeschichte: die Shoah.
Wer steckt dahinter?
Bei den Demonstrant*innen handelt es sich um keine homogene Gruppe von Menschen, sondern um eine bunte Mischung: Es gibt Menschen, die das die Demonstrationen als Familienausflug betrachten. Dann sind dort Menschen, die sich knallhart positionieren. Unter ihnen: Rechtsextreme und Neo-Nazis. Ansonsten ist das ganze Spektrum dazwischen vorhanden.
Medienaufmerksamkeit bekommen allerdings überwiegend jene rechtsextremen Demonstrant*innen, die mit ihren Aussagen, Accessoires und Verhaltensweisen anecken, provozieren und sich auf diese Weise selbst ins Rampenlicht rücken.
Einige der Demonstrant*innen haben nachvollziehbare Gründe, sich gegen die Hygieneregeln der Bundesregierung zu positionieren. Sie haben Existenzängste und sorgen sich wahrhaftig um die Zukunft. Indem sie jedoch in Begleitung von Neo-Nazis, Reichsbürger*innen, Anhänger*innen von Verschwörungsmythen und „Querdenkern“, wie z.B. „QANON“ laufen, geben sie ihnen eine neue Bühne und Aufmerksamkeit. Das gefährliche Ergebnis ist, dass sich der moderne Antisemitismus hier offenkundig entdecken lässt.
Wie drückt sich dieser moderne Antisemitismus aus?
Zum Standardrepertoire von vielen Demonstrant*innen gehören antisemitische Narrative wie zum Beispiel, dass die Rothschilds oder Rockefellers die Welt kontrollierten. Es ist das stetige Verweisen auf „die Zionist*innen“ und die eigene Selbstinszenierung als Opfer einer Diktatur. Viele Demonstrant*innen unterstreichen dies gern mit Judensternen, gedruckt auf Transparente, Schilder und Jacken. Es ist die maximale Opferrolle, die ein Mensch überhaupt annehmen kann. Allein im Zeitraum von Mitte März bis Mitte Juni hat die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) 123 solcher antisemitischen Äußerungen auf sogenannten Hygiene-Demos registriert.
Dieser Antisemitismus, der klassischerweise der extremen Rechten zugeschrieben wird, kennt kein soziokulturelles oder politisches Milieu. Weil sie die Kapitalismuskritik und den sogenannten Antiimperialismus teilen, schließen sich teilweise auch linke und muslimische Gruppierungen dem Mob der antisemitischen Corona-Leugner*innen an, indem sie – oft vielleicht auch unbewusst – Parolen mit klarem antisemitischen Bezug verwenden. Es ist ein Phänomen, dass Jüd*innen seit dem Mittelalter für Seuchen, wie damals die Pest, verantwortlich gemacht und zum Sündenbock einer Gesellschaft wurden. Judensterne, Vergleiche mit Held*innen aus der NS-Zeit, Aufmärsche mit Reichsflaggen sowie Nazi-Parolen verharmlosen den Holocaust und beschimpfen den Mord an 6 Millionen Nazi-Opfern. Auch Heiko Maas, deutscher Außenminister betont, dass heutzutage nichts in Verhältnis zu setzen sei mit dem Schrecken des NS-Regimes. „Wer sich heute mit Sophie Scholl oder Anne Frank vergleicht, verhöhnt den Mut, den es braucht, Haltung gegen Nazis zu zeigen. Es verharmlost den Holocaust und zeigt eine unerträgliche Geschichtsvergessenheit. Nichts verbindet Corona-Proteste mit Widerstandskämpfer*innen. Nichts!“
*Artikelbild von Hans Braxmeier / pixabay
Über den Autor:

…kommt aus Berlin, lebt in Helsinki und absolviert einen deutsch-französischen Freiwilligendienst in Lyon. In seiner Freizeit reist er gerne.